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Filmkritik
Milan hat auf die rührende Zeichnung eines Mädchens, auf der die Frage formuliert war, ob er mit ihr gehen wolle, mit einer rabiaten Antwort reagiert. Auf die Rückseite des Blattes malte er einen Jungen, der ein Mädchen erschießt, inklusive blutender Wunde. Dafür werden prompt die Eltern des 11-Jährigen in die noble Münchener Schule des Sohnes zitiert. Marion (Laura Tonke) und Andi (Moritz Bleibtreu), beide Anwälte, sind geschieden. Sie teilen sich die Erziehung des gemeinsamen Kindes je zur Hälfte, nach dem Motto „Alles Fifty Fifty“. Milan (Valentin Thatenhorst) hat jeweils ein Zimmer bei Papa und bei Mama und muss sich die doch sehr unterschiedlichen Erziehungsstile beider Elternteile gefallen lassen. Die Vermutung der Schulpsychologin liegt recht nahe an der Wahrheit. Entweder komme ihm nicht genug Aufmerksamkeit zuteil oder zu viel. Außerdem spiele er womöglich den Vater gegen die Mutter aus und umgekehrt.
Genau so verhält es sich auch. Während Marion einen Erziehungsratgeber nach dem anderen verschlingt und ihren Sohn mit Fürsorge fast erdrückt, ist Andi deutlich laxer und überschüttet den Sohn mit teuren Geschenken, mit denen er nichts anzufangen weiß. Außerdem setzt er ihm kaum Grenzen, lässt ihn etwa Espresso trinken. Dadurch wird der Junge manipulativ, aber auch schnell wütend. Da nach Milans Aktion in der Schule nun deutlich eine Grenze überschritten wurde, entschließen sich die Eltern zum gemeinsamen Handeln. Sie fahren mit Milan sowie Marions neuem und jungem Partner Robin (David Kross) in den Urlaub und wollen sich gemeinsam um den Sohn kümmern.
Im Luxus-Resort gehen die Streitigkeiten los
Kaum im Luxus-Resort in Apulien angekommen, gehen die Streitigkeiten über die rechte Erziehung aber schon los. Andis Eifersucht auf Robin macht die Lage nicht besser. Leidtragender ist wie immer Milan, der einfach übergangen wird und sich lautstark zu Wort melden muss, damit er wahrgenommen wird. Nachdem er sich geweigert hat, im Swimming Pool des Resorts Schwimmunterricht zu nehmen („Da pinkeln alle rein.“), lernt er eine Gruppe Kinder von dem benachbarten Campingplatz kennen. Das gleichaltrige Mädchen Mila hat es ihm besonders angetan, und so pendelt Milan ohne das Wissen seiner Eltern ständig zwischen dem schicken Resort und dem bodenständigen Campingplatz hin und her. Derweil unternimmt Andi deutliche Annäherungsversuche an seine Ex-Frau.
Erzählt wird der Film aus der Perspektive des deutsch-griechischen Bademeisters des Resorts, Paris. Warum sich Regisseur und Drehbuchautor Alireza Golafshan für diesen Kunstgriff entschieden hat, bleibt offen. Womöglich soll so ein neutraler Blick auf das Geschehen geworfen werden. Man braucht als Zuschauer auch eine gewisse Zeit, um sich in das Gefühlsleben von Milan hineinzudenken. Der geballte Luxus, der dem Jungen in München sowie am italienischen Urlaubsort zuteilwird, verstellt den Blick auf sein Dilemma und lässt ihn zunächst wie einen verwöhnten Reichenspross erscheinen. Gleichzeitig verbringt der Film etliche Zeit damit, wieder ein erotisches Spannungsverhältnis zwischen Andi und Marion aufzubauen. Robin bleibt dabei nur die Rolle des Trottels, was aber auch nur für mäßige Erheiterung sorgt.
So kann sich der Film nicht recht entscheiden, welche Geschichte er eigentlich erzählen will. Auch im Ton kommt er unentschlossen daher. Richtigen Slapstick, wie ein thematisch ähnlicher US-Film wie „Meine erfundene Frau“ ihn ausprobierte, wagt „Alles Fifty Fifty“ nicht. Für Komik sorgen sollen hier ein paar abgebrochene Versuche von Geschlechtsverkehr zwischen den Ex-Gatten, ein Massagegerät, das wie ein Vibrator aussieht, oder die Flucht Marions vor Robin in das Zimmer eines anderen Gastes, zumal sie stets von demselben Zimmermädchen beobachtet werden.
Wie aus einem Reisekatalog
Die Bilder des malerischen Apuliens mit seinem Traumstrand und den Pinienwäldern wirken wie aus einem Reisekatalog. Auch darin spielen sich gewollt komische Szenen ab – mehrere Personen fallen versehentlich ins Wasser – oder aber Mini-Dramen, die aufgebauscht wirken. Etwa, wenn Milan kurzzeitig im Meer untergeht, während die Eltern neben ihm stehen, und dabei angeblich fast ertrinkt. Dann wiederum wagt er sich ganz allein in die Wellen und kann auf einmal auf wundersame Weise schwimmen. Natürlich soll diese Szene die Emanzipation des Jungen von seinen verkorksten Eltern symbolisieren.
Denn eine rechte Sympathie will man für die beiden Erziehungsberechtigten nicht aufbringen. Andi fährt ständig in einem knallgelben Luxusschlitten durch die Gegend, Marion wirkt stets beherrscht und trägt Designerklamotten, die irgendwie auch altbacken wirken. Alle vier Urlauber konsumieren nur feinste Häppchen und Tropfen, und vielleicht kann man sich für ihr Familiendrama deshalb nicht erwärmen, weil man es als Luxusproblem abtut. Dann wiederum schleicht sich ein heiliger psychologischer Ernst in Dialoge und Szenen, wirkt Andi in einer Standpauke an seinen Sohn zu fordernd und leistungsorientiert, während Marion aufgrund schmerzhafter Erfahrungen mit ihrem eigenen Vater allergisch darauf reagiert.
Glücklicherweise sorgen die netten, leicht prolligen Nachbarn vom Campingplatz für etwas mehr Bodenhaftung. Axel Stein kann Milas einsamem alleinerziehendem Vater Jens Humor und Emotion abgewinnen, als die reichen Münchener dort zwangsläufig stranden. Nun müssen jene sich mit schlecht funktionierenden Duschen oder Toiletten ohne Klopapier auseinandersetzen und ein paar Nächte im Zelt verbringen.
Die Reflexion über Konsum währt nicht lange
Da sie jedoch bald wieder erleichtert in edleren Unterkünften landen, währt die Reflexion über Konsum oder soziale Unterschiede nicht lange. Zwar freut man sich, dass das Problemkind sein Schicksal quasi selbst in die Hand nimmt und schmunzelt über die eine oder andere lustige Mimik von Laura Tonke. Dennoch ist „Alles Fifty Fifty“ wie sein Titel: weder Fisch noch Fleisch, weder Komödie noch Familiendrama und alles in allem eine visuell ansprechende, aber unausgegorene Versuchsanleitung über das Leben gebeutelter Reicher.