- RegieAnnika Pinske
- Dauer89 Minuten
- GenreDrama
- TMDb Rating7/10 (5) Stimmen
Cast
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Spätestens seit die Schriften französischer Autoren wie Didier Éribon, Édouard Louis und Annie Ernaux hierzulande Anklang finden, wird auch in deutschen Feuilletons und Publikationen viel über Klassismus und den schwierigen Bildungsaufstieg für Abkömmlinge sogenannter bildungsferner Schichten geschrieben. Haben sie es geschafft, in der akademischen Welt Fuß zu fassen, kämpfen sie mit der Arroganz und Ignoranz der Etablierten. Das ruft bei den Neu-Akademikern Sozialscham, aber auch Trotz hervor. In einem ähnlichen Zwiespalt befindet sich die Protagonistin von Annika Pinskes Debütspielfilm „Alle reden übers Wetter“. Die 39-jährige Clara (Anne Schäfer) ist Dozentin und Philosophiedoktorandin in Berlin. Sie hat eine Affäre mit einem ihrer Studenten, will sich aber nicht binden. Aus ihrer letzten langen Beziehung ist eine Tochter hervorgegangen. Diese lebt nun bei ihrem Ex (Ronald Zehrfeld), dessen junger Frau und ihrem gemeinsamen kleinen Sohn.
Zwei sehr unterschiedliche Welten
Eigentlich macht Clara ihre Arbeit als Dozentin Spaß, auch wenn sie finanziell noch nicht viel abwirft: Sie wohnt in einer Kreuzberger WG, während ihre Doktormutter Margot (Judith Hofmann) ein geräumiges Apartment ihr Eigen nennt. Zum Geburtstag ihrer Mutter, mit der sie regelmäßig telefoniert, fährt Clara samt Kind in die ostdeutsche Provinz, aus der sie stammt. Doch schon bei ihrer Ankunft wird deutlich, dass die beiden Frauen sich in zwei sehr unterschiedlichen Welten bewegen. Die in einer postsozialistischen Siedlung lebende Mutter Inge (Anne-Kathrin Gummich) ist bodenständig, fragt nach dem Verkehr auf der Autobahn und kümmert sich um das Essen für ihren Geburtstag.
Clara dagegen möchte, dass sich Inge auch für ihren Beruf und ihre Schriften interessiert – schwierig bei den hochkomplizierten und sehr spezifischen Sachverhalten, vor denen sogar andere Akademiker kapitulieren würden. Bei Clara staut sich der Frust, und das wird während der Feier, an der das ganze Städtchen teilzunehmen scheint, nicht besser.
Gerade die Männer in der bierseligen Runde machen sich über Claras berufliche Orientierung lustig („Wat is die Steigerung von Rinderwahnsinn? Frauenpower.“). Aber auch mit den Frauen gibt es zwar eine emotionale Verbindung, aber keinen gedanklichen Austausch. Erst als sie sich zu später Stunde mit ihrer Jugendliebe Marcel (Max Riemelt), dem Wirt des Ortes, über ihre lange zurückliegende verkorkste Beziehung und unterschiedliche Werdegänge austauscht, kommt so etwas wie Dialog auf. So findet sich Clara zwischen den Stühlen wieder.
In Berlin dreifach fremd
In Berlin fühlt sich die aus dem Osten stammende Frau gegenüber den etablierten Akademikern, alles Westler, dreifach fremd. In einer Runde bürgerlich Gebildeter gibt sie einmal vor, dass ihre Mutter ein Haus besitze und auf ihre alten Tage mit dem Malen begonnen habe. Ihr Vater dagegen, erklärt sie, sei Botschafter gewesen, provoziert dann aber damit, dass er sich erschossen habe. So passt sie sich einerseits den Erwartungen der schnöseligen West-Elite an, schafft es aber, einen harmonischen Abend mit einer schockierenden Behauptung aufzuwirbeln.
Überhaupt spart der Film von Annika Pinske, die in einem Interview den Einfluss Didier Éribons auf ihr Drehbuch betont hat, nicht mit Kritik am akademischen Milieu. Verkrustete Hierarchien, schwierige Aufstiegschancen gerade für Frauen und eine gewisse Kälte sind systemimmanent. Auch die scheinbar so kompetente Doktormutter bekommt ihr Fett weg und wird von einer ehemaligen Studentin (Sandra Hüller in einem feinen Kurzauftritt) als gefühllose Person gebrandmarkt. Um in dieser Welt zu überleben, braucht man Durchhaltevermögen und eine gewisse Härte.
Der Abenteuer Suchenden wird nicht verziehen
Ganz offensichtlich ist aber auch, dass sich die Mitglieder dieser verschworenen Gemeinschaft als geistige Elite ansehen. Dass jemand ihre bürgerlichen Ansichten, geschweige denn ihre Herkunft, nicht teilen könnte, kommt den Akademikern nicht in den Sinn. Dumm nur, dass die Menschen aus ihrem Herkunftsort Clara als eingebildete Verräterin ansehen. Der, die das Abenteuer sucht, wird nicht verziehen. Zum einen sind die ostdeutschen Provinzler zufrieden mit dem, was sie haben, zum anderen wohl neidisch, weil ihnen der Mut zur Veränderung fehlt.
Bei der Darstellung des kleinstädtischen Ost-Milieus greift Regisseurin Pinske auf ein paar unnötige Klischees zurück. So werden Kinder wegen Nichtigkeiten ausgeschimpft oder gar geschlagen und glänzt die Feiergesellschaft vor allem durch ausschweifenden Alkoholgenuss und dumme Sprüche. Dass die Milieus sich auf geradezu karikaturartige Weise unterscheiden und in Claras Geburtsort so viel tumbe Bildungsunwilligkeit herrscht, erscheint in Zeiten von kostenlosen Bildungsangeboten via Internet und allgemeiner Mobilität nur bedingt wahrscheinlich.
Dennoch gelingt Pinske das spannende Porträt einer Frau, die sich zwischen vielen Widersprüchen und gegen allerlei Hindernisse behaupten muss. Anne Schäfer spielt sie nuancenreich und lässt ihre zwiespältigen Gefühle, aber auch ihre Entschlossenheit hervortreten, ihren eigenen individuellen Weg zu gehen.